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Corvus Corax - Mittelaltermusik

Berlin, Deutschland


Bevor im November die Berliner Mauer fiel, waren Castus und Venustus im August auf abenteuerlichem Wege über Ungarn und Österreich in die BRD ausgereist, im Gepäck nur wenig mehr als ein paar Instrumente. So ausgerüstet zogen sie schon bald durch Deutschland über Holland nach England. Auf diesem Weg hatten sie bereits mit einer Reihe von Auftritten auf verschiedenen Mittelalterveranstaltungen auf sich Aufmerksam gemacht. Das große Ereignis in Berlin konnten die beiden in London nur ungläubig am Bildschirm verfolgen. Venustus war dort in jener Zeit an der School of Furniture zu einem Erfahrungsaustausch zwischen Instrumentenbauern, gab seine Erfahrungen als Dudelsackbauer weiter und nahm an Seminaren anderer Instrumentenbauer teil, während Castus in den Streets of London das nötige Geld verdiente… - Als Castus und Venustus im Dezember nach Deutschland zurückkehrten, gründeten sie das Duo für mittelalterliche Spielmannsmusik

Corvus Corax.

Mit den ersten Auftritten schon hatten sie Aufsehen erregt, weil ihre Art der Interpretation mittelalterlicher Spielmannsmusik im Westen unbekannt war: von Musikerkollegen vorerst argwöhnisch begutachtet – vom Publikum von Anfang an verehrt.

In der „Alten Welt“, die dann „Die Neuen Bundesländer“ werden sollten, hatten Castus und Venustus in der Gruppe Tippelklimper u.a. zusammen mit Meister Selbfried gespielt. Im Februar 1989 waren wir mit dieser Gruppe bei Dreharbeiten zu einem Märchenfilm bei der DEFA in Babelsberg. Hier packten wir die Gelegenheit beim Schopfe, um Aufnahmen von unserer mittelalterlichen Musik zu machen. Ein Tontechniker wurde überredet, eine heimliche Nachtschicht einzulegen und der Hausmeister überlistet, um in die Studioräume zu gelangen. So entstanden die Aufnahmen, die später auf der CD ANTE CASU PECCATI veröffentlicht wurden – wortwörtlich - in einer Nacht- und Nebelaktion.

Als Corvus Corax – das Duo – im Dezember ein Konzert der von Meister Selbfried im Herbst gegründeten Gruppe Zumpfkopule hörte, wurde gleich über Fusionsmöglichkeiten nachgedacht...

1990

Im Frühjahr gab es ein paar gemeinsame Proben mit Corvus Corax und Zumpfkopule – wir wollten in der Sommersaison gelegentlich als verstärkte Gruppe auf den großen Mittelalterveranstaltungen auftreten. In dieser Liaison überzeugten wir als CONGREGATIO (lat. Gemeinschaft) zur Pflege mittelalterlicher Spielmannskunst, wie wir die Gruppen im Verbund nannten, auf allen Plätzen und Bühnen, auf denen wir die Instrumente auspackten… - Bei der Anreise zu den verschiedenen Veranstaltungen spielten wir auf Straßen und Plätzen - auf diese Weise konnten wir einerseits das Fahrgeld einspielen, auf der andern Seite die Namen der Bands verbreiten, denn wer uns einmal als Quintett erlebte, wollte noch mehr…
…und wir wollten auch mehr:
wir tauchten bei verschiedenen Festivals in ganz Europa auf: zu Pfingsten in Amsterdam und Amersfort (NL), im Juli beim internationalen Dudelsackfestival in St.Chartier (F), waren beim Festival in Avignon und konzertierten in Brisighella (I) und Wien und beim Österreich-Ungarischen Kulturfestival in Mürz-Zuschlag (A)…

In diesem Jahr reifte der Gedanke, eine große Show aufzubauen, in der alle Register mittelalterlicher Spielmannskunst gezogen werden: Wir suchten nach Kaskadeuren, die Schwert- und Stockkämpfe vorführten und Gauklern aller Couleur, von Jongleuren und Feuerspuckern, zu Messerwerfern und Artisten... . So wuchs die CONGREGATIO allmählich.
Nach der Saison bereiteten wir die erste CD-Produktion vor, die im nächsten Frühjahr erscheinen sollte…

Zumpfkopule hatte den Winter nicht überlebt. – Meister Selbfried war von nun an ordentliches Mitglied von Corvus Corax.

Im März erschien die CD CONGREGATIO noch unter dem Namen beider Gruppen.

Nachdem wir 1990 Europa entdeckt hatten, flogen wir in diesem Jahr einmal rund um die Welt: Am 25. 04 flogen wir über Sibirien immer der Sonne entgegen nach Japan…

In Obihiro auf Hokkaido spielten wir in einem Themenpark der den Grimm'schen Märchen gewidmet war. Dort waren das Hanauer Rathaus, das Rothenburger Stadttor und andere in Märchen erwähnte Sehenswürdigkeiten im Maßstab 1:1 und erdbebensicher nachgebaut. Während der Zeit in der wir dort waren, wurde europäisches Mittelalter gespielt. Eine tschechische Rittergruppe – Equites - , englische Gaukler – The Blim Brothers – und weitere wechselnde deutsche Akteure gestalteten ein abwechslungsreiches Tagesprogramm. Wir mussten uns erst daran gewöhnen,dass Japaner ihrem Naturell entsprechend ihre Emotionen nicht zeigen. Wir haben aber dann doch herausgefunden wie man sie knackt: Castus in seiner Riesengestalt mit tiefer Stimme „brüllend“ lief auf eine Gruppe junger Mädchen zu, die vor Schreck nicht wussten ob sie lachen oder weinen sollten, dass selbst die andern Zuschauer nicht mehr an sich halten konnten…

Der Abschluß unseres Aufenthaltes dort fiel zusammen mit dem Fest zum zweijährigen Bestehen dieses Parks. In diesem Zusammenhang gab es einen gemeinsamen Auftritt von Corvus Corax mit einer japanischen Opernsängerin bei dem diese im Duett mit Castus das „Heideröslein“ von Schubert und „Por coi bait mes maris“ (Corvus Corax – Inter deum et diabolum semper musica est) sangen.

…der Rückflug ging wieder der Sonne entgegen über Alaska und Grönland… einmal rund um die Welt!…

Die Idee einer großen Präsentation mittelalterlicher Spielmannskunst nahm in diesem Jahr Gestalt an. Wir ließen Markthäuser bauen, engagierten Handwerker und Künstler und im September gab es die erste eigene Veranstaltung in Zusammenarbeit mit einem Ritterturnier auf dem Schützenhof in Spandau. Kurz darauf zum Burgfest auf der Zitadelle in Berlin erweiterten wir unser Kulturprogramm auf dem eigenen Markt noch erheblich. Die Veranstalter waren so begeistert, dass sie uns die Mitwirkung an dieser Veranstaltung für die nächsten Jahre zusicherten. Diese Veranstaltungen wurden für Jahre eine feste Institution für die Berliner Corvus Corax Fans

1992

Die Erfahrungen der Herbstspektakel machten uns klar, dass wir uns vergrößern mussten: Drei Musikanten sind einfach zu leise für einen ganzen Markt…
Im Winter warben wir Brandan aus dem gerade zerfallenden „Spielmannshaufen“ Unbehuot/Pediculus an.

Eigentlich sollte Teufel auch mit zu uns stoßen, er lernte aber Bo Widbusch kennen, mit dem er in den folgenden Jahren als Puppenspieler unter dem Namen Pullarius Furzillo unterwegs war… - Brandan und Teufel waren uns schon länger bekannt, sie hatten auch auf unseren Veranstaltungen mitgespielt – die Musik, die sie in jenen Jahren gespielt hatten, haben wir auf der CD „TEMPI ANTIQUII“ unseren Fans zum Vergnügen veröffentlicht.

Vier Dudelsackspieler, von denen immer einer ausfiel, der die Trommel schlagen musste – das war noch nicht das, was wir uns vorgestellt hatten. Da lief uns Donar über den Weg. D.h. er musste fast zu seinem Glück gezwungen werden: Pfingsten – bei der 725- Jahrfeier in Kladow (Berlin), seinem ersten Auftritt mit uns - kam er sich ziemlich blöd vor in seinem Kostüm. Verunsichert wie er war, fiel er auch noch während des Konzertes mit der Trommel von der Bühne - nicht das einzige mal während seiner Zeit bei uns…
Seinen Namen Donar von Avignon verdiente er sich während unseres Gastspiels dort im August – jetzt hatte er es begriffen…

Im August und September wurde das Filmporträt unserer Gruppe gedreht: „Mittelalter jetzt“. Die Live-Aufnahmen dazu entstanden beim Burgfest auf der Zitadelle.

1993

In diesem Winter spielten wir in Amman/ Jordanien. Diese Reise – mit ein paar Tagen Aufenthalt in Damaskus/ Syrien - war für uns besonders interessant. Die Mittelalterliche Musik hat ja auch Wurzeln in der orientalischen Kultur. Viele Instrumente stammen von dort. Vor fast 1000 Jahren waren Spielleute im Gefolge von Kreuzrittern dort – als Zeugen des Krieges zwischen „Heiden“ und Christen - als wir dort waren, flogen amerikanische Raketen über den Orient...

Wieder gesund zurückgekehrt nutzten wir die restlichen Wintermonate, um in der Bibliothek nach neuen Stücken zu forschen. Das Ergebnis war ein komplett neues Programm, mit dem wir in die Konzertsäle vordringen wollten und Material für eine neue CD. Der Sender Freies Berlin war schon im letzten Jahr auf uns aufmerksam geworden. Der Redakteur für Alte Musik, Dr. Bernhard Morbach, vermittelte uns in die Studios des Senders, wo wir dann unsere zweite CD aufnahmen: INTER DEUM ET DIABOLUM SEMPER MUSICA EST. (Zwischen Gott und Teufel ist immer Musik) – dieser Titel wurde von nun an das Motto für unser Programm. Zur Veröffentlichung der CD übertrug der SFB ein Konzert mit uns live aus dem Pallas der Zitadelle Spandau.
Zu Pfingsten versuchten wir den Spagat, gleichzeitig Veranstalter eines Mittelalterspektakels im Klosterhof von Ribnitz- Damgarten zu sein und in Braunschweig als Musikgruppe aufzutreten: Freitag und Montag spielten wir in Ribnitz, nachts fuhren wir hin und her und Samstag und Sonntag spielten wir in Braunschweig. An diesen beiden Tagen gestalteten Teufel und Bo – Pullarius Furzillo - mit Musik und Puppenspiel das Programm im Klosterhof. - Es war alles gut gegangen!
Einige Wochen danach hatten wir die exotischste Veranstaltung in unserer Geschichte: Zur 1200 Jahrfeier der Stadt Potsdam hatten wir den Auftrag, einen Barockmarkt auf dem Weberplatz in Babelsberg zu gestalten. Das war eine spannende Herausforderung für uns. Wie wurden Dudelsäcke in der Barockzeit benutzt, wo waren sie verbreitet…? Leopold Mozart hat für Dudelsack und Orchester komponiert, in verschieden Kantaten und Lieder wird er besungen, gerade die Barockzeit hatte für Spielereien mit „Bauerninstrumenten“ viel übrig – bukolische Idyllen waren in … Also keine Angst und einfach drauf los? - Es gab dann doch noch einige Bibliotheksbesuche und gründliche Recherchen, wir wollten ja auch wirklich wissen, wie weit man gehen kann. Das ist ja unsere Art mit Geschichte umzugehen, dass man die Grenzen des Belegbaren auslotet und sie praktisch erweitert. Dazu kam, dass es uns einen Heidenspaß gemacht hat, in barocke Gewänder zu schlüpfen…
Im Juli dann waren wir beim Kaltenberger Ritterturnier. Auch hier hatten wir einen Tross von weiteren Künstlern und Handwerkern dabei, und es regnete an zwei von den drei Wochenenden. Aber wir konnten über Moor, Matsch und Mist unsere Witze reißen, hier kam das Publikum ja auch trotzdem und der Schlosshof, wo in diesem, unserm ersten Jahr unsere Bühne stand, war immer voll gefüllt mit jubelnden, tanzenden Menschen…

Die weitere Sommersaison verlief schon beinahe routiniert ab, mit Auftritten bei verschiedenen Mittelaltermakt-Veranstaltungen. Weitere Höhepunkte waren in jenen Jahren das Fest am 1. Mai auf dem Höllberghof im Niederen Fläming südöstlich von Berlin, das Sparrenburgfest in Bielefeld und natürlich das Burgfest auf der Zitadelle Spandau - bei allen diesen Festen waren wir bis 1997 alljährlich zu erleben.



1994

Das Jahr ´94 bescherte uns gleich zu Beginn einen Höhepunkt: wir waren eingeladen, beim Karneval in Venedig zu spielen. Das war ein grandioses Erlebnis: auf der Piazzetta San Marco waren Bühnen aufgebaut die ca. 2 m hoch waren. Dort oben standen wir und unter uns tobte eine vieltausendköpfige Menge…die forderte von uns immer wieder die „Scarazula“, den zweiten Teil unseres Spielmannstanzes, der seitdem diese Form mit dem neu-angesetzten Schluss angenommen hatte. In Venedig hatte die BBC-London ein Fernsehteam losgeschickt, von uns fleißig Bilder einzufangen. Diese Aufnahmen sind u.a. in der BBC Produktion „Die Kreuzzüge“ von Terry Jones (Regisseur von Monty Python Filmen) verwandt worden.

„Lebendige Mittelalter“ hieß die größte Veranstaltung unter eigener Regie und unser größter Misserfolg: 8 von 10 Tagen im Regen in Hannover. Das war deprimierend, zumal schon die Vorbereitungen uns ganz schön ausgelaugt hatten, dann jeden Tag von früh bis spät auf der Bühne und zwischendurch die andern Akteure koordinieren, die Sorgen der Handwerker anhören und dann der Regen – das war zuviel!…
Unser zweites Erscheinen auf dem Kaltenberger Ritterturnier - an den ersten drei Wochenenden im Juli - hat uns wieder Auftrieb gegeben. In diesem Jahr - und für die nächsten drei - hatte uns der Prinz den kleinen Marktplatz mitten im Veranstaltungsgelände zugedacht, der Schlosshof würde den Zustrom zu unsern Konzerten nicht aushalten... In den Jahren, in denen wir hier das ganze Kulturprogramm unter unserer Regie gestalten sollten, hatten wir Programme mit verschiedenen Akteuren einstudiert. Mit dabei waren die Seiltänzer und Akrobaten Les Voyages, die Puppenspieler Pullarius Furzillo, die Theatergruppe Narratak, die Mittelalterkomiker und Artisten Compania Megusta und die Jongleure Skomoroch.

Saison Ende in Berlin – Zitadelle Spandau - im Herbst und Dezember sind wir gelegentlich - wie in allen Jahren - bei Betriebs- und Weihnachtsfeiern zu erleben gewesen.

1995
In den Wintermonaten ist immer Zeit für Studium in den Bibliotheken und das Bearbeiten neuer Stücke... und zum Aufnehmen einer neuen CD. Der diabolus in musica war Gegenstand Musikhistorischer Studien und gab dann auch der dritten CD den Namen: TRITONUS Der Tritonus ist das Intervall zwischen der Quinte und der Quarte - eine Dissonanz, die den Verfassern musiktheoretischer Traktate im Mittelalter dazu diente, die Gegensätze zwischen himmlischer und teuflischer Musik zu erklären.

Saison Auftakt in Berlin: mit der Walpurgisnacht im Britzer Garten - schon im Vorjahr waren wir hier. Und am 1. Mai spielten wir auf dem Höllberghof.

Wir haben aus den Erfahrungen der letzten beiden Jahre die Erkenntnis gewonnen, dass wir in erster Linie Musiker sind und das Organisieren von kompletten Märkten unsere Kräfte überfordert und uns vom Eigentlichen ablenkt. In diesem Jahr haben wir dies also reduziert und lediglich komplette Kulturprogramme für Mittelalterliche Handwerkermärkte zusammengestellt.
Im Juni waren wir bei der 725-Jahrfeier in Gelnhausen dabei. Der Veranstalter - Lutzelot - hat viel von uns verlangt - sechs und mehr Auftritte am Tag sind harte Arbeit - aber von allen Mittelaltermarktveranstaltern hat er auch die besten Bedingungen für die Akteure geschaffen. Ihm gelang es immer unter den Akteuren und Marktleuten gute Laune zu breiten. So gab es für uns hier nicht nur einen Backstage und eine gute Unterkunft, sondern auch den freundlichsten Schankwirt und die nettesten Weinhändler. Dort konnte uns auch das Publikum immer zwischen den Auftritten treffen und mal an unserm Gewand zupfen... Die erste Zusammenarbeit mit dem SWF kam zustande. Wir bildeten die musikalische Umrahmung zur Sendung über die Burg des Götz von Berlichingen innerhalb der Reihe „Burggeschichten“. Um gut im Fernsehen auszusehen, muss man auch mal Gefahren bestehen: hier balancierten wir bei stürmischem Wind auf der Burgmauer - sah wirklich beeindruckend aus...
Saisonabschluss in Stadthagen beim Kramerzunft und Kurzweyl Markt. Venustus kündigt hier offiziell seinen Rückzug aus der Musik an...- !?

1996
Nach der Saison `95 war Pullarius Furzillo auseinander gebrochen, so war Teufel frei und wurde an Venustus' statt bei Corvus Corax aufgenommen. Seine Stärken sind in erster Linie der Umgang mit dem gesprochenen Wort und seine schelmisch-diabolische Art die Leute “anzumachen“ ..zwar kein Ersatz für Venustus, aber ein großartiger Gewinn für die Band.

Trotzdem: musikalisch musste über wesentliche Veränderungen nachgedacht werden. In diesem Winter experimentierten wir mit modernen musikalischen Mitteln. Die Single TANZWUT entstand im April: eine Fusion aus mittelalterlichen Tänzen und Liedern mit Techno und Pop. Was hier anfangs als Seitenprojekt gedacht war, hat uns soviel Spaß gemacht und uns in unserm musikalischen Denken regelrecht verjüngt, dass wir beschlossen daraus eine neue Band zu formieren.

Die Corvus Corax Saison begann mit der Historischen Ostermesse auf dem Alten Markt in Leipzig. Eine W che lang - an den Osterfeiertagen war es wenigstens noch sonnig, an den restlichen Tagen schneite und regnete es...

Pfingsten in Braunschweig - als Teufel seine Stimme erhob donnerte und blitzte es am Himmel und es schüttete wie aus Eimern solange wir spielten.

Ende Juni hielt es Venustus nicht mehr aus in Berlin! Ohne Musik, ohne die Bühne und die Fans - das hält doch keiner aus, der das Spielmannsleben im Blut hat...

Er war wieder voll dabei, als wir beim Festival der Spielleute auf der Hochburg zu Emmendingen - der nächsten Produktion mit dem SWF spielten. Die heraufziehenden Wolken sahen später grandios aus auf dem Bildschirm beim Kameraschwenk über die Burg, als wir spielten gab es dann aber eher witzige Bilder von regennassen Fans.

Bei sommerlichen Temperaturen und Sonnenschein konnten uns dann über eine Million Leute bei den Hessentagen auf dem Obermarkt in Gelnhausen erleben. Der ortsansässige Fanclub hatte uns mit Transparenten willkommen geheißen. So etwas geht uns natürlich wohlig unter die Haut...
1995 hatten uns Paul Kaisser und Margit Müller, die Hausherren auf dem Wäscherschlößle, bei den Kaltenberger Ritterspielen gehört und gesehen und luden uns zu einem Konzert auf ihr Schloss ein. Als wir dort ankamen waren wir sofort verliebt in diese kleine Burg, einen Großteil des Charmes allerdings erhält sie von den Gastgebern, die in liebenswerter Sammlerarbeit ein wunderschönes Museum unterhalten und im Sommer eine Reihe von Konzerten veranstalten! Unser Konzert fand - wie seither in allen Jahren - am Donnerstag zwischen dem ersten und zweiten Kaltenberg-Wochenende statt. Und wir haben liebend gern für das nächste Jahr gleich wieder zugesagt. In Stadthagen - wieder die letzten Tage dieser Saison - kündigte Donar seinen Abschied an... - sollte Stadthagen zum Ort des Abschieds werden...?

1997
Die ersten Auftritte in diesem Jahr waren etwas merkwürdig und ungewohnt. Meister Selbfried mit Haaren... ohne Donar... - wir testeten verschiedene Trommler...

Wir spielten Anfang Juni auf einem der schönsten Stadtfeste im Laufe unserer Geschichte in der Weinstadt Oberwesel am Rhein. Unser Trommler hier gab nur ein kurzes Gastspiel. Er hatte noch keinen Spielmannsnamen erwerben können... - für die nächsten Konzerte konnten wir Donar zurückgewinnen.

5:1 - fünf Dudelsackspieler gegen einen Trommler... Ohne Frage Donar von Avignon hat immer gut dagegengehalten, aber musikalisch sollte doch noch mehr möglich sein. Wir hatten in diesem Frühjahr verschiedene Trommler ausprobiert. Zum Sommer hatten wir dann Jagbird „aufgerissen“, der mit gewaltigem Arm die Basstrommel schlug, dass einem im nachhinein das Kalb leid tat, dem vorher die Haut gehörte... Das war aber genau das, was den richtigen Schub brachte. In diesem Jahr sind wir beim Festival der Spielleute auf der Burg Wertheim vom Publikum und den Fernsehzuschauern zu den Spielleuten des Jahres gewählt worden. Unser allgemeines Gefühl für unsere Auftritte wandelte sich in diesem Jahr, sicher auch durch die Erfahrungen mit TANZWUT. Uns machte es zunehmend mehr Spaß „nur“ Konzerte zu geben. Für einen Musiker ist es leichter, seine Kraft auf zwei Stunden Konzert zu konzentrieren, als verteilt über den Tag vier mal eine halbe Stunde zu spielen. Das Gefühl für das Publikum zu spielen entwickelt sich mehr in dieser Konzertsituation und auch das Publikum ist anders, es ist aufmerksamer, weil es ja eben wegen der Musik gekommen ist. Auf einem Mittelalterfest ist man als Musiker „nur“ ein Programmpunkt unter vielen und das Publikum kommt, bleibt stehen und geht weiter... Ohne Frage, auch die Marktauftritte machen uns großen Spaß. Man ist den Leuten auf einem Mittelaltermarkt viel näher, trifft sie an der Taverne, quatscht und trinkt miteinander. Die Distanz auf der Konzertbühne ist in der Regel größer - ausgenommen solche Konzerte wie auf der Wäscherburg.... Zum Saisonausklang hatte sich Meister Selbfried darauf vorbereitet, in Stadthagen die Gruppe zu verlassen. Aber nach zwei Fehlverabschiedungen glaubte keiner mehr daran...

1998
Am 30. April spielten wir - seit 9 Jahren zum ersten mal wieder - in Ungarn. Wir waren eingeladen zum Mediawave Festival in Györ. Wir spielten in einer ehemaligen Synagoge, die zum Konzertsaal umfunktioniert war. Die Ungarn sind ein phantastisches Publikum. Uns hat zudem auch Spaß gemacht, mal wieder „köszönem szépen“ und „villamos“ zu sagen und den Klang der Ungarischen Sprache zu hören. Einen Teil der Gage haben wir in Ungarische Salami „umgetauscht“.

Das war auch vorerst das letzte Konzert mit Jagbird. Für ihn kam Hatz.

Im Juli hatten wir zwei Konzerte auf der Wäscherburg. Es hatte sich herumgesprochen, dass wir hier immer ein besonderes Konzert bieten. Jedes Jahr waren mehr Leute gekommen von überall her, so dass Paul Kaisser zwei Konzerte mit uns wagen konnte. Diese Gelegenheit nahmen wir beim Schopf, um einen Livemitschnitt beider Konzerte zu machen, aus denen dann die besseren Aufnahmen zur LIVE-CD zusammen gestellt werden sollten. Etwas hektisch ging dann die Fertigstellung der CD vonstatten. Das Booklett war bereits im Juni schon vorbereitet, deshalb gab es in der ersten Auflage der CD noch keine Zeiten für die Titellängen und einige kleine Änderungen im Ablauf konnten dann erst in der zweiten Auflage berücksichtigt werden. Weil wir in Kaltenberg spielen mussten, konnten wir beim Abmischen und Mastern nicht selbst dabei sein. Aber wir hatten am letzten Wochenende in Kaltenberg - nur 8 Tage nach dem Konzert - die CD pressfrisch am Start.

Die zweite CD, die wir in diesem Jahr veröffentlichten - VIATOR - hatten wir lange vorbereitet. Die Stücke waren im Winter bereits ausgesucht, da waren auch schon die ersten „Skizzen“ und Gerüste auf der Harddisc. Bei der Arbeit mit der zweiten Gruppe - Tanzwut - hatten wir und an das Harddisc Recording gewöhnt. Das heißt, wir spielen nicht auf ein Tonband sondern in einen digitalen Speicher - eine Harddisc eben. Mit dieser Methode ist es möglich, diffiziler die Stücke zu bearbeiten und moderne Arrangements zu erarbeiten. Das war unser Ziel: die Musik sollte mittelalterlich sein, nur akkustische Instrumente verwenden und trotzdem auch „modernen Ohren“ zugänglich sein. Das war das Ergebnis des Wandels unserer Auffassung von authentischer Interpretation der Musik der Spielleute des Mittelalters.

Immer wenn wir zwischen den Konzerten und Touren Zeit hatten, saßen wir im Studio, um die CD-Produktion voranzutreiben. Im August und September wurden dann die eigentlichen Aufnahmen gemacht, gemischt und gemastert. Auch hier wieder eine Verzettelung mit dem Booklett. Zur Tour im Oktober hatten wir eine limitierte Fanedition dabei.

Die Tour im Oktober war ein Versuch. Bisher kannte man uns nur von mittelalterlichen Festen und von Konzerten in Burghöfen oder historischen Sälen. Es war eine spannende Erfahrung nun auch in „normalen“ Clubs zu spielen. In diesen Räumen konnten wir mit Nebel und Theaterlicht operieren. Das schafft Möglichkeiten, die unserer Art diese Musik zu interpretieren sehr zuträglich sind.

In Mexiko gab es zweimal Gelegenheit auch mit dem Corvus Corax Programm aufzutreten.

Weil die Oktobertour ein großer Erfolg war, beschlossen wir noch eine zweite Tour im Dezember zu machen. Jetzt verabschiedete sich Donar aber endgültig. Auf der Weihnachtstour trommelte wieder Jagbird, dazu Hatz und als Dritter im Bunde „Herr Pöttner“. Nun war das richtige Gegengewicht zu den fünf Dudelsäcken perfekt. „Herr Pöttner“ allerdings war nicht frei für eine Zukunft bei uns...

1999
Die Corvus Corax Saison begann für uns unmittelbar im Anschluß an die Tanzwuttour zum Erscheinen der ersten TANZWUT CD.
Am Wochenende zum 1. Mai spielten wir auf der Albrechtsburg in Meißen. Bedenken, dass wir eventuell nicht schnell genug von Tanzwut auf Corvus Corax umschalten könnten, oder wir möglicherweise zu erschöpft sein könnten, nach 15 Tagen Tour... gab es nicht. Im Gegenteil, wir waren ausgesprochen gut gelaunt, zuweilen sogar frisch und albern.
Neu in der Band war Jean, der als Dritter in der Trommlerriege seinen Einstand gab. Ihn kannten wir von ganz früher, Brandan und Teufel hatten in ihren ALTEN ZEITEN bereits mit ihm zusammen gespielt.
Mit acht Leuten auf der Bühne sind wir den ganzen Sommer unterwegs gewesen. Zum 20. Kaltenberger Ritterturnier haben über hunderttausend Gäste - absoluter Publikumsrekord - die Möglichkeit gehabt, sich unser Spektakel anzusehen und anzuhören. Zwischen den Wochenenden in Kaltenberg gaben wir Konzerte in Deutschland und Österreich... im August spielten wir in Dänemark...
10 Jahre Corvus Corax wollen wir mit einer Konzerttournee feiern. Wir laden alle herzlich ein - vom 15. bis 30 Oktober...

2000
...Corvus Corax spielt auf dem Vorhof zur Hölle...
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